Projekt

Das Rechercheprojekt Unsichtbares Handwerk geht Geschichten von Wiener Handwerksbetrieben nach und setzt sie in Beziehung zur baulichen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt.

Das Projekt erforscht die Rolle der Produktionskultur für die Entwicklung der innerhalb des Gürtels gelegenen Bezirke Wiens. Im Zuge der Recherche werden Handwerksbetriebe und ihre Kooperationsnetze erkundet, ihr spezifisches Wissen dokumentiert und mit Hilfe von verschiedenen Vermittlungsformaten wie Ausstellungen, Stadtspaziergängen und Workshops für ein interessiertes Publikum sicht- und erfahrbar gemacht. Eine Plakatserie im öffentlichen Raum stellte HandwerkerInnen, ihre individuelle Geschichte und ihre spezifischen Zugänge in den Mittelpunkt. Mit einem gedruckten Faltplan und der Website wurde das recherchierte Netzwerk visualisiert und abrufbar gemacht. Darüber hinaus wurde mit Gesprächscafés und Vernetzungsaktivitäten der Austausch zwischen den (alten und neuen) Betrieben gefördert.

 

Das Projekt versucht, die Wechselbeziehung zwischen der baulichen Struktur („Hinterhofindustrie“), der netzwerkartigen Produktionsorganisation und dem unternehmerischen Geschick der einzelnen Personen sichtbar zu machen. Ziel ist es, das kulturelle Erbe der ehemaligen Reichs- und Residenzstadt Wien freizulegen und die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung für Design und Handwerk und deren Bedeutung für die Qualität der Nahversorgung und städtischen Infrastruktur bewusst zu machen und zu stärken.

 

UNSICHTBARES HANDWERK IN WIEN

 

„Mir gefällt die politisch moralische Einstellung meiner Kunden, die das Wegschmeißen nicht unterstützen wollen“. Luisa Wammes, Tapeziererin

„Wir produzieren ab einer Stückzahl von eins“ Wolfgang Weber, Dreh- und Frästeile

 

GESCHICHTE DER HANDWERKSBETRIEBE

Die ehemalige Kaiserstadt Wien ist historisch stark handwerklich geprägt. Die Spuren der handwerklichen Produktion sind überall in der Stadt nach wie vor sichtbar. Am sogenannten “Brillantengrund”, wie das Schottenfeld später wegen des Reichtums der dort ansässigen Seidenfabrikanten genannt wurde, zum Beispiel reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Auch das Gebiet am Strozzigrund hat eine jahrhundertealte Tradition. Trotz gravierender technischer und wirtschaftlicher Veränderungsprozesse (Stichwort Massenproduktion) im letzten Jahrhundert, die das traditionelle Handwerk überflüssig, weil zu teuer, machten, blieben einige handwerkliche Gewerbetriebe in den inneren Stadtvierteln bestehen und neue Generationen von HandwerkerInnen kamen hinzu. Die ehemaligen Produktionsstätten, Zulieferbetriebe und das dichte Netz an SpezialistInnen bieten nach wie vor gute Bedingungen für kreative und handwerkliche Produktion.

Viele Handwerksbetriebe sind straßenseitig nicht sichtbar, sie nutzen vermehrt die Hinterhofgebäude als Werkstätten. Manche Unternehmen befinden sich seit über 100 Jahre an ihrem Standort und mussten sich im Laufe der Zeit immer wieder an veränderte wirtschaftliche Bedingungen anpassen. Entscheidend für das Überleben waren und sind auch die guten kooperativen Beziehungen zu anderen Handwerks- und Zulieferbetrieben im Stadtteil.

 

„Die Lobby der Kleinen ist die Vernetzung“. (Georg Winner, Dieroff Naturwaren)

 

STRATEGIE, TAKTIK, UNTERNEHMERISCHES HANDELN

Die hier tätigen UnternehmerInnen und der von ihnen geschaffene Stadtraum haben eine auf Kooperation und Konkurrenz beruhende spezifische Produktionskultur entwickelt, die sich bis in den Barock zurückverfolgen lässt. Mit Metaphern wie „tacit knowledge“ (Michael Polanyi) wird treffend umschrieben, dass dabei häufig ein von allen geteiltes, aber unausgesprochenes Wissen, wie hier gelebt und gearbeitet werden sollte, im Spiel ist. Dieses Wissen konnte mit der Abwanderung einer bestimmten Branche im Laufe der Geschichte nicht verschwinden. Alfred Marshall formulierte bereits 1890 treffend: „An atmosphere cannot be moved.“

 

„Was uns miteinander verbindet, ist unser Berufsethos. Jede/r arbeitet hier aus Leidenschaft, das spürt man bis auf die Straße hinaus“. (Günther Garger, Holz und Stahl)

 

NEUE PRODUKTIONSMÖGLICHKEITEN FÜR JEDERMANN

Co-Making, Maker-Space, Do it Yourself – das sind die neuen Spielarten des Handwerks, die auch Nicht-HandwerkerInnen die Möglichkeit bieten, selbst Hand anzulegen. Doch auch weiterhin bedarf es jahrelanger Übung, um Meisterschaft zu erlangen. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett spricht von 10.000 Stunden, die es braucht, um handwerkliche Techniken im Ansatz zu beherrschen. (vgl. Sennett, Richard, Handwerk, Berlin 2008).

 

KOMMUNIKATION UND RECHERCHE

Das Rechercheprojekt „Unsichtbares Handwerk“ greift individuelle Geschichten von Handwerksbetrieben in Wien Neubau und Josefstadt auf und setzt sie in Beziehung zur baulichen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Das Projekt versucht die Wechselbeziehung zwischen der baulichen Struktur („Hinterhofindustrie“), der netzwerkartigen Produktionsorganisation und dem unternehmerischen Geschick der einzelnen Personen sichtbar zu machen. Ziel ist es, die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung von Handwerk in Erinnerung zu rufen und zu stärken.

 

TEAM

Projektleitung & -organisation: Johanna Reiner
Mitarbeit Recherche und Organisation: Uma Reiner und Alix Drakulic
Bisherige Mitarbeiterinnen: Iklim Dogan, Teresa Wally

 

2015 begann die Wiener Künstlerin Johanna Reiner sich für die handwerkliche Vorgeschichte ihres Ateliers im Bezirk Ottakring zu interessieren, wo sie eine ehemalige Gießerei gemietet hatte. Seither hat sie die Beschäftigung mit Handwerk im Wiener Stadtgebiet nicht mehr losgelassen. Gemeinsam mit verschiedenen Unterstützern und Kooperationspartnern, wie zum Beispiel den Bezirken Neubau und Josefstadt, oder der ehemaligen Gebietsbetreuung für den 7., 8. und 16. Bezirk, oder die Lebendige Lerchenfelder Straße, oder die IG Kaufleute der Einkaufsstraßen vor allem in Neubau und Josefstadt erforschte sie die Netzwerke der Handwerksbetriebe in der Stadt. www.eintagsmuseum.net